
Das Beste ist es sicherlich nicht. Aber erstaunlich ist die Tätowierkultur im Nahen Osten schon.
Sie tragen helle Jeans, Jeansjacken, sie haben dicke Lippen und falsche Wimpern. Aus ihren Handys zwischen Nadeln und Farben dröhnt Rhythm and Blues, dazu singen und rappen junge Deutschtürken. Es riecht heute nach süßem Parfüm in Wassim Razzouks Tätowierstudio, in der Altstadt von Jerusalem.Eine aramäische Reisegruppe aus Bremen ist hier, ein Dutzend Frauen, ein paar Männer, sie könnten ebenso gut gerade im Essbereich eines Einkaufszentrums abhängen. Aber sie sind auf Jesus Spuren unterwegs, der auch ein Aramäer war. Deswegen sticht Wassim Razzouk an diesem Tag eine Handvoll Kreuze. Im Akkord.
Es ist nicht der einzige Tag, an dem er Kreuze sticht. Er sticht fast nur Kreuze, zehntausende pro Jahr. Als Erkennungszeichen für koptische Christen, als Andenken für Pilgerer.

Verschlagen in einer engen Gasse nahe dem Touristenstrom steht sein Studio, das Schaufenster eingefasst zwischen schweren Felsen in Sandfarben, vorne die Aufschrift: Seit 1300. Razzouk behauptet, es sei das älteste Studio der Welt. Seine Familie würde hier seit 500 Jahren tätowieren, nachdem sie als koptische Christen aus Ägypten einwanderten. Seine Mutter lehnt über der Rezeption, Razzouk tätowiert eine der Aramäerinnen aus Bremen, während er erzählt, und sein Vater lässt keine Gelegenheit aus, in Kameras zu grinsen.
Bilder an der Wand zeigen Razzouks Großvater, der wie ein Schuhputzer auf einem Gehweg sitzt und von Hand tätowiert. „Meine Urgroßväter haben noch Schuhwichse unter die Haut gebracht, mein Vater hatte die erste elektrische Maschine.“ Razzouk benutzt heute Gleitgel, um abgepauschte Kreuze auf die Haut der Bremer Pilgerinnen zu haften, um danach mit seiner Maschine die Linien nachzustechen (Gleitgel oder Flüssigkeit aus Deosticks als Haftcreme benutzen eigentlich nur Knasttätowierer). Er hat aber auch traditionelle Holzschnitte von Kreuzen im Angebot, die seine Familie seit Jahrhunderten als Motive anbietet.

Jetzt zur Osterzeit ist Razzouk besonders beschäftigt, gerade nach Feierabend. „Wie ein Fabrikarbeiter steche ich Kreuze. Ich muss heute Abend noch in ein Hotel, dort warten 90 Pilgerinnen auf mich, die Älteste ist 101 Jahre alt.“ Auch amerikanische Soldaten würden oft im Hotel auf ihn warten, weil sie ungern in der Altstadt herumlaufen.
Die Familie Razzouk gehört selbst zu den Kopten, einem aus Ägypten stammenden Volkes, das auch nach Israel emigrierte. Wassim Razzouk erzählt: „Schon vor 400 Jahren kamen Kopten zu meinen Urgroßvätern, wenn sie das koptische Kloster in Jerusalem besuchten. Für sie war das der Höhepunkt ihres Lebens, und zum Beweis ließen sie sich ein koptisches Kreuz samt Datum der Reise ans Handgelenk tätowieren.“ Während Razzouk erzählt, kommt ein christlich-orthodoxer Priester in das Studio – auch er ein Kunde.
Razzouk erzählt weiter: „Unter islamischer Herrschaft wurden die Christen gezwungen, zum Islam zu konvertieren. Die sich weigerten zu konvertieren, wurden mit einem Kreuz auf ihrer Hand gebrandmarkt.“ Schon die Griechen tätowierten Straffälligen die Gesichter, sodass jeder sie als Kriminelle erkennen konnte. Später ließen sich Kopten aus eigenem Antriebt ab einem Alter von fünf Jahren das Kreuz ans Handgelenk tätowieren.
Manchmal tätowiert Razzouk auch Juden, bei denen Tattoos genau wie bei Moslems als unrein gelten. „Wenn also Juden kommen, sind sie meistens Freaks. Einem habe ich „koscher“ auf den Arsch tätowiert. Am liebsten würde ich einem Moslem Mohammed auf den Arsch tätowieren, aber es ist noch keiner gekommen.“
Und so tätowiert Wassim Razzouk weiter Pilgerer und Kopten, es hagelt Kreuze, selten wollen seine Kunden auch Flügel oder Schriftzeichen. Für Razzouk lohnt sich das Geschäft – vor dem Studio steht eine Harley Davidson. Er kann Kreuze stechen, ein echter Tattookünstler, der sich fortbildet und auf Messen fährt, ist Razzouk aber nicht. Dafür ist sein Studio irgendwie doch einzigartig und authentisch.