„Death penalty for drug traffickers“, sagt die Überschrift auf der Karte, die ich im Landeanflug auf Singapur ausfüllen soll. Wow, das ist mal eine Ansage. Im Zug vom Flughafen ins Stadtzentrum sehe ich Schilder, Hinweise, Tipps. „Bag on the floor Benny“, ist ein kleines Maskottchen, dass mich im Zug anhält, meinen Rucksack auf den Boden zu stellen. Ein Schild sagt, verdächtige Gegenstände oder Personen soll ich dem Personal melden.
Bitte festhalten, ein Zug in entgegen gesetzter Richtung fährt durch.
Singapur ist superreich, deswegen superteuer, super durchgeplant und völlig überwacht. Anfangs wirkt der Stadtstaat wie ein Traum, wie ein Disneyland – zu gut, um wahr zu sein. Nach drei Tagen bröckelt die Fassade: alles Fake.
Am ersten Tag laufe ich durch Little India, wo mein Hotel ist. Hier gibt es Essen so günstig wie in Berlin, allerdings fällt mir auf: Die gefälschten Nike Schuhe kosten trotzdem 200 Dollar. Ich besuche kurz einen Hindutempel, wildes Gewusel: Ein Inder legt sich auf den Boden und macht auf dem Bauch liegend ein Art Schneeengel, hier zünden ein paar Hindus eine Kerze an, dort klatschen sie in die Hände, meditieren, lachen. Das wirkt auf mich nicht wie Singapur – doch mein Eindruck wird sich gleich ändern.
Im Stadtzentrum laufen weniger Inder herum, mehr Malayen, überwiegend aber Chinesen, zwischen endlosen Fensterfassaden, im Erdgeschoss die üblichen weltweit agierenden Modeketten. Ich habe am ersten Tag keinen Menschen mit dreckigen Schuhen gesehen, die Gesichter der Menschen in Singapur sind glatt wie Pfannenbeschichtungen. Chinesische Schulmädchen mit dicken Hornbrillen sprechen mit amerikanischem Akzent. Und die Jungs sehen aus, als würden sie jeden Tag ins Fitnessstudio gehen. Doch statt Muskeln wachsen unter ihrer Haut nur die Adern. Später fiel mir auf: Es gibt gar keine Bettler.
Ich laufe zurück nach Little India, und denke mir: Singapur ist wie eine Kreuzung aus München und Peking. Es liegt nirgends, wirklich fast nirgends Müll herum. Ich habe heute mitgezählt: ein rotes Bonbonpapier und eine Plastikflache im Gebüsch auf 5,37 Kilometern. Auch sonst scheint alles zu funktionieren, die Wege vorprogrammiert wie in einem Videospiel. Man kann sich nicht verlaufen.
Im Hotel recherchiere ich noch ein paar Fakten darüber, wie teuer das Leben hier ist. Und das ist wirklich kaum vorstellbar: Um ein Auto fahren zu dürfen, muss man neben dem Führerschein erst einmal eine Lizenz vorlegen, die schon etwa 50.000 Dollar kostet. Auf jedes Fahrzeug erhebt der Staat dann 100 Prozent Steuern. Ein BMW kostet also etwa drei mal so viel wie in Deutschland, wenn man Importkosten mitrechnet. Denn der Staat Singapur will den Verkehr genau kontrollieren. Dazu passen auch die je nach Verkehrsdichte und Tageszeit angepassten Mautgebühren: Je mehr Verkehr, desto höher die Maut.
Am zweiten Tag wandere ich durch den Botanischen Garten. Auch hier wieder traumhafte Eindrücke, wie in einem Märchenland. An drei Steinsäulen gleitet das Wasser so perfekt ab, das sieht aus, als würden die Steine herunterfließen. An einem anderen Brunnen trägt das Wasser eine tonnenschwere runde Marmorkugel, die sich dreht.
Im Healing Garden gibt es eine Völlerei an wirksamen Pflanzen, die die Verdauung anregen, oder die den Atem freier machen. Im Toxic Garden gibt es Pflanzen, die selbstverständlich nicht ohne einen Guide zu begutachten sind. Im großen See schwimmen nur schwarze Schwäne zwischen mit dem Geodreick angeordneten Seerosen. Auf den ersten Blick wunderschön, auf den zweiten Blick wird klar: Diesen See haben Hipster im Auftrag der Regierung am Macbook gebaut. Heue machen Mütter 360-Grad-Aufnahmen ihrer Kinder hier.
Bitte das Laub liegen lassen und keine Fische aussetzen.
Singapur ist eben dieses Videospiel, in dem jemand den Geld-Cheat geknackt hat und alle Features und Upgrades gleichzeitig freigeschaltet hat.
Zurück in Little India. Ich lerne beim Abendessen mit den Indern, sie kommen oft als Bauarbeiter oder Seemänner, und das Essen schmeckt nicht so wie in Indien. Außerdem dürfen sie nach 2230 Uhr keinen Alkohol mehr trinken, weil es mal eine Art Aufstand gab nach einem Verkehrsunfall, der wohl nach 22 Uhr passiert ist. Ein paar Inder hätten randaliert und jetzt erzählen sie, für sie hier in Little India gelten andere Gesetze. Sie fühlen sich diskriminiert.
„Did you ever see a police car?“, fragt mich ein Inder mit schüttelndem Kopf. Nein, und er hat recht. Das einzige was ich immerzu sehe, sind die rot blinkenden Lichter der Überwachungskameras an jeder Ecke, über den Markisen der Ein-Dollar-Shops, in Bäumen.
Am dritten Tag treffe ich den deutschen Geschäftsführer einer politischen Stiftung in seinem Büro. Ich erzähle von meinen Eindrücken, von dem tollen botanischen Garten, den vielen Verboten und Kameras. Und er antwortet: Von Filipinas, die in Schaufenstern probebügeln würden, bis sie chinesische Familien kaufen würden. Die dann in zwei Quadratmeterzimmern bei diesen Familien als Dienstmägde leben würden, die in Betten schlafen, die aus den Wänden fallen würden. Das sei von den Architekten moderner Gated Communties hier so eingeplant.
Er erzählt auch von einem Autounfall, den er bezeugte. Er habe mit anderen Beteiligten auf die Polizei gewartet, die ihn namentlich begrüßte, bevor er seinen Namen überhaupt sagte. Sie bräuchten ihn auch nicht als Zeugen, es sei doch alles auf Kamera. Sein Nummernschild – sein Name.
Spätestens jetzt fühlt sich Singapur an wie der Prototyp einer Dystopie, entworfen vielleicht von Aldous Huxley?
Die absolute Touristenattraktion schaue ich mir am letzten Tag abends an. Den Cloud Forest, einen unechten Regenwald unter einer Glashaube, und die benachbarten Supertrees – leuchtende, begehbar, riesige Plastikbäume, die ziemlich genau diese Stadt verkörpern. Hier frönen die Asiaten noch einmal ihrer Lust an Kameras, allerdings in der Form von kollektiver Selfiesucht.
Wer glaubt, Indonesier oder Filipinos würden wahnsinnig viele Fotos machen. Dazu nur soviel: Was in Singapur in Sachen Fotos und Verletzung der Privatsphäre passiert, verstößt gegen die Menschenrechte und bereitet körperliche Schmerzen.
Ich halte die Todesstrafe für Fotosüchtige für deutlich angemessener als die für Drogenschmuggler. Fazit nach drei Tagen: Singapur muss man gesehen haben, einmal angucken reicht dann aber auch.